Die Aufbahrung

von | Sep 25, 2020 | Blog

Letzte Woche hatte ich wieder solch einen Fall. Als ich nach der Beerdigung in die Trauerhalle, um meinen Weihwasserkessel zu holen, wurde eine Aufbahrung im offenen Sarg für die nächste Beerdigung vorbereitet. Sie ist selten geworden, die öffentliche Aufbahrung eines Verstorbenen in der Trauerhalle. Ich erlebe sie eigentlich nur noch, wenn ich Spätaussiedler aus Russland als Kunden habe.

Wie der Tod im Allgemeinen aus dem Alltag verschwunden ist, so sind es auch die Verstorbenen selbst. Mein Großvater starb 1963 zu Hause an Steinstaublunge und er wurde wie selbstverständlich zu Hause in seinem Bett aufgebahrt und die Nachbarn kamen, um sich von ihm dort zu verabschieden. Dort wurde er auch in den Sarg gelegt. Zur Beerdigung wurde er von zu Hause abgeholt, mit Pferdewagen und Bergmannskapelle.

Die Aufbahrung gehört zu den Abschiedszeremonien. Heute findet sie meist im familiären Umfeld statt. So auch bei uns in der Familie bei meinen Eltern und Schwiegereltern. Sie ist wichtig, um den Tod – im wahrsten Sinne des Wortes – „begreifbar“ zu machen. Man kann, ja man soll ruhig den verstorbenen Menschen berühren. Ihm auf die Stirn küssen, seine Hand ergreifen, die Wange streicheln. Die Aufbahrung schafft die Möglichkeit, einer sinnlichen Form des Abschiednehmens.

In einer Welt, aus der die Körper unserer Verstorbenen mehr und mehr verschwunden sind, hat sich nämlich ein neuer Aberglaube eingenistet: daß die Berührung eines toten Menschen irgendwie „schädlich“ ist. Das ist blühender Unsinn, genauso wie das Gerede vom „Leichengift“. Nein! Ich ermuntere Sie alle zu diesem intimen und auch körperlichen Abschiednehmen. Ich kann verstehen, daß viele Menschen keine öffentliche Aufbahrung wünschen. Besonders nach schweren Krankheitsverläufen oder Unfällen soll man die Menschen so in Erinnerung behalten, wie man sie erlebt hat.

Dennoch bleibt die Aufbahrung ein wesentlicher Teil unseres Totenkults. Über einen gelingenden Trauerprozess entscheidet auch ein gelingender Abschied, ob offen in der Trauerhalle oder im kleinen Kreis beim Bestatter oder am Totenbett.

Bild von Dean Moriarty auf Pixabay