Erinnern oder besser Vergessen?
Kennen Sie virtuelle Friedhöfe? Jetzt, wo alle Welt sich digitalisiert, entstehen auch sogenannte „Internetfriedhöfe“. Ich will den partiellen Nutzen solcher Formen der Erinnerung nicht bestreiten, aber tief innen drin habe ich massiv Bauchschmerzen mit solcher Art Erinnerungs- und Trauerkultur.
„Das Netz vergisst nichts“ heißt es nicht zu Unrecht. Einer dieser virtuellen Friedhöfe trägt sogar den Namen „Stayalive“ und wird vom Betreiber als „Portal für die digitale Unsterblichkeit“ beworben. Und hier wird es m.E. problematisch.
Ich will keinem Betreiber seine ehrenwerten Motive für solche Ideen absprechen, nichtsdestotrotz halte ich sie aufgrund meiner Erfahrung in der Trauerarbeit für falsch und wenig hilfreich. Tröstet uns die „digitale Unsterblichkeit“ denn wirklich? Was passiert mit einem Menschen, der tagtäglich mehrmals mit seinem Verstorbenen online kommuniziert? Wie würden wir einen Menschen beurteilen, der tagtäglich mehrere Stunden auf dem Friedhof am Grab verbringt?
So etwas kann auch zu einem steten Offenhalten einer seelischen Wunde führen und das für den Menschen schädlich. Jeder, der schon einmal einen geliebten Menschen verloren hat, weiß das. Echte Trauer bedeutet ja denn auch beides: Ein Rückblick auf das Vergangene und einen Ausblick auf das Kommende. Wir müssen uns bewusst vom Vergangenen abwenden und bewusst dem Kommenden zuwenden. Das ist oft leichter gesagt als getan. Es ändert aber nichts daran, es zu tun. Aber wenn wir dann merken, daß uns im Laufe der Zeit das Loslassen gelungen ist, empfinden wir eine unglaubliche Befreiung und Erleichterung.
Aus Sicht der Trauerbegleitung ist ein Gedenken – auch im Internet – durchaus sinnvoll und heilsam, wenn es mit zeitlichem Abstand entspannter wird. Das hat nichts mit Abkehr vom liebevollen Gedenken zu tun. Es sind natürliche und heilsame Prozesse, die dadurch auftreten. Wunden verheilen, auch wenn sie vernarben und sichtbar bleiben. Aber es dient niemals der Linderung oder Gesundung, Wunden künstlich offen zu halten oder sich mit Erinnerungen zu quälen. Denn Erinnern soll trösten und nicht weh tun.