Sterben mit Corona II
Im April hatte ich einen ersten Beitrag zum Thema verfasst, als mein erster Kunde allein und einsam im Pflegeheim verstarb, nicht an Corona, aber wegen der Maßnahmen, die verhängt wurden, um sein Leben und seine Gesundheit zu „schützen“: Quasi Einzelhaft im Einzelzimmer, Kontaktverbot zu anderen und zur eigenen Familie.
Heute Vormittag hatte ich Nr. 20 – nach weiteren fünf Monaten „Schutz“. Zugegebenermaßen haben sie die „Haftbedingungen“ gelockert. Unter strengen Auflagen natürlich. Eine Tochter erzählte mir, es wäre ihr so vorgekommen wie sie es aus dem Fernsehen kannte, wenn Angehörige Gefangene im Gefängnis besuchen.
Ich habe mir entsetzliche Schilderungen anhören müssen in den letzten Monaten, voller Wut und Verzweiflung, daß man nicht zu den pflegebedürftigen, schwer kranken oder gar sterbenden Angehörigen durfte. Es war die Schilderung der Hilflosigkeit der alten Menschen, die mich besonders erschüttert hat. Ein Sohn durfte seinen Vater nur durch eine Glastür sehen und ihm zuwinken. Der alte Mann wollte zum Sohn und verstand nicht, warum man ihn wegführte.
Die Mutter eines Freundes wurde 100 Jahre: Niemand durfte von der Familie zu ihr. Sie haben unter dem Fenster im ersten Stock gestanden und mit Schreien und Gestikulieren gratuliert. Und niemand hat die Alten gefragt, ob sie und ob sie so „geschützt“ werden wollten.
Heute, im September, habe ich noch immer keinen Corona-Toten. Ein Bestatter, für den ich arbeite, hatte im halben Jahr einen – möglichen – Fall. Mein Hausarzt mit großer Praxis hatte in der gleichen Zeit, ungefähr im Februar, auch eine alte Frau, die auf Corona positiv getestet wurde. Man hat sie intubiert und daran ist sie verstorben. Sie war 89 Jahre alt und schwer vorerkrankt. Vielleicht starb sie auch am Virus.
Natürlich ist Schutz von Risikogruppen wichtig. Aber einfaches, monatelanges Wegsperren und das systematische Austrocknen der sozialen Kontakte? Der Volksmund sagt nicht umsonst: Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern gut gemeint.