Die Aufbahrung

Die Aufbahrung

Die Aufbahrung

Letzte Woche hatte ich wieder solch einen Fall. Als ich nach der Beerdigung in die Trauerhalle, um meinen Weihwasserkessel zu holen, wurde eine Aufbahrung im offenen Sarg für die nächste Beerdigung vorbereitet. Sie ist selten geworden, die öffentliche Aufbahrung eines Verstorbenen in der Trauerhalle. Ich erlebe sie eigentlich nur noch, wenn ich Spätaussiedler aus Russland als Kunden habe.

Wie der Tod im Allgemeinen aus dem Alltag verschwunden ist, so sind es auch die Verstorbenen selbst. Mein Großvater starb 1963 zu Hause an Steinstaublunge und er wurde wie selbstverständlich zu Hause in seinem Bett aufgebahrt und die Nachbarn kamen, um sich von ihm dort zu verabschieden. Dort wurde er auch in den Sarg gelegt. Zur Beerdigung wurde er von zu Hause abgeholt, mit Pferdewagen und Bergmannskapelle.

Die Aufbahrung gehört zu den Abschiedszeremonien. Heute findet sie meist im familiären Umfeld statt. So auch bei uns in der Familie bei meinen Eltern und Schwiegereltern. Sie ist wichtig, um den Tod – im wahrsten Sinne des Wortes – „begreifbar“ zu machen. Man kann, ja man soll ruhig den verstorbenen Menschen berühren. Ihm auf die Stirn küssen, seine Hand ergreifen, die Wange streicheln. Die Aufbahrung schafft die Möglichkeit, einer sinnlichen Form des Abschiednehmens.

In einer Welt, aus der die Körper unserer Verstorbenen mehr und mehr verschwunden sind, hat sich nämlich ein neuer Aberglaube eingenistet: daß die Berührung eines toten Menschen irgendwie „schädlich“ ist. Das ist blühender Unsinn, genauso wie das Gerede vom „Leichengift“. Nein! Ich ermuntere Sie alle zu diesem intimen und auch körperlichen Abschiednehmen. Ich kann verstehen, daß viele Menschen keine öffentliche Aufbahrung wünschen. Besonders nach schweren Krankheitsverläufen oder Unfällen soll man die Menschen so in Erinnerung behalten, wie man sie erlebt hat.

Dennoch bleibt die Aufbahrung ein wesentlicher Teil unseres Totenkults. Über einen gelingenden Trauerprozess entscheidet auch ein gelingender Abschied, ob offen in der Trauerhalle oder im kleinen Kreis beim Bestatter oder am Totenbett.

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Sterben mit Corona II

Sterben mit Corona II

Sterben mit Corona II

Im April hatte ich einen ersten Beitrag zum Thema verfasst, als mein erster Kunde allein und einsam im Pflegeheim verstarb, nicht an Corona, aber wegen der Maßnahmen, die verhängt wurden, um sein Leben und seine Gesundheit zu „schützen“: Quasi Einzelhaft im Einzelzimmer, Kontaktverbot zu anderen und zur eigenen Familie.

Heute Vormittag hatte ich Nr. 20 – nach weiteren fünf Monaten „Schutz“. Zugegebenermaßen haben sie die „Haftbedingungen“ gelockert. Unter strengen Auflagen natürlich. Eine Tochter erzählte mir, es wäre ihr so vorgekommen wie sie es aus dem Fernsehen kannte, wenn Angehörige Gefangene im Gefängnis besuchen.

Ich habe mir entsetzliche Schilderungen anhören müssen in den letzten Monaten, voller Wut und Verzweiflung, daß man nicht zu den pflegebedürftigen, schwer kranken oder gar sterbenden Angehörigen durfte. Es war die Schilderung der Hilflosigkeit der alten Menschen, die mich besonders erschüttert hat. Ein Sohn durfte seinen Vater nur durch eine Glastür sehen und ihm zuwinken. Der alte Mann wollte zum Sohn und verstand nicht, warum man ihn wegführte.

Die Mutter eines Freundes wurde 100 Jahre: Niemand durfte von der Familie zu ihr. Sie haben unter dem Fenster im ersten Stock gestanden und mit Schreien und Gestikulieren gratuliert. Und niemand hat die Alten gefragt, ob sie und ob sie so „geschützt“ werden wollten.

Heute, im September, habe ich noch immer keinen Corona-Toten. Ein Bestatter, für den ich arbeite, hatte im halben Jahr einen – möglichen – Fall. Mein Hausarzt mit großer Praxis hatte in der gleichen Zeit, ungefähr im Februar, auch eine alte Frau, die auf Corona positiv getestet wurde. Man hat sie intubiert und daran ist sie verstorben. Sie war 89 Jahre alt und schwer vorerkrankt. Vielleicht starb sie auch am Virus.

Natürlich ist Schutz von Risikogruppen wichtig. Aber einfaches, monatelanges Wegsperren und das systematische Austrocknen der sozialen Kontakte? Der Volksmund sagt nicht umsonst: Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern gut gemeint.

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Moderne Trauermusik

Moderne Trauermusik

Moderne Trauermusik

Noch vor einer Generation waren viele Musiktitel, die heute auf Beerdigungen erklingen, undenkbar. Selbst bei nicht-christlichen Beerdigungen wurden von einem Organisten klassische Melodien gespielt, eben halt nur keine Kirchenlieder. Und der oder die Verstorbene im Chor sang oder in einer Kapelle musizierte, dann sang oder spielte man zur Trauerfeier Lieder aus dem Repertoire.

Heute ist das anders. Es hat nicht nur damit zu tun, daß es heute weniger rein kirchliche Beerdigungen gibt, es liegt auch an der Möglichkeit, Musik digital abzuspielen. Mit Schallplatten oder Musik-Cassetten kann man nicht auf den Friedhof, mit einem Stick schon.

Ein weiterer Grund ist, daß Beerdigungen heute persönlicher geworden sind. Der oder die Verstorbene selbst steht mehr im Mittelpunkt des Geschehens. Auch bei klassischen katholischen Beerdigungen wird heute vom Verstorbenen geredet. Vor 25 Jahren war das noch undenkbar. Allerhöchstens stellte man bei bedeutenden Persönlichkeiten einen Nekrolog zeitlich vor die eigentliche Trauerfeier.

Ich sehe das anders. Natürlich finde ich die Musik, die da gespielt wird, oftmals grauenhaft. Aber zum einen gilt für mich die alte Anglerweisheit, daß der Wurm dem Fisch und nicht dem Angler schmecken muss. Zum anderen ist es doch so, daß diese Feier die letzte gemeinsame Stunde ist, die Familie, Angehörige und Freunde mit dem bzw. der Verstorbenen verbringen. Auch wenn sie tot sind, sind sie doch noch präsent, sei es im Sarg oder in der Urne.

Diese letzte Stunde, die Stunde des Abschieds, sollte – bei aller Trauer – auch schön und im Sinne der Verstorbenen sein. Und dazu gehört (auch) die Musik, die er oder sie oder die man gemeinsam gehört hat, die ein tröstliches Erinnern an die schönen Stunden ist, die man miteinander verbracht hat. Trotz aller Tränen: Eine Abschiedsfeier ist eine Feier. Und zu einer Feier gehört Musik. Und diese Musik muss denen gefallen, die feiern. Sonst niemandem. Auch mir nicht.

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Fremde Federn: Dietrich Bonhoeffer

Fremde Federn: Dietrich Bonhoeffer

Fremde Federn: Dietrich Bonhoeffer

Wenn man eine Predigt verfasst, sollte sie im Wesentlichen aus eigenen Gedanken bestehen. Ich merke bei jedem Gottesdienstbesuch, ob der Pfarrer was „eigenes“ predigt oder eine vorformulierte Predigt vom Blatt abliest. Solche „Predigthilfen“ gibt es viele. Und sie sind auch u.U. hilfreich zur Anregung.

Bei meinen Beerdigungen greife ich auch schon einmal auf Gedanken und Formulierungen anderer zurück, die ich dann allerdings zitiere. Es gibt einfach Dinge, die sind so viel besser als daß man sie selbst hätte formulieren können. Gerade zum Thema Trauer und Trost haben sich viele große Männer und Frauen schon geäußert und wenn es passt, baue ich deren Gedanken gerne in meine Predigt ein.

Einer dieser großen Männer ist Dietrich Bonhoeffer. Bonhoeffer war nicht nur ein brillanter Theologe, sondern auch ein Meister des Wortes. Wer kennt nicht sein ergreifendes Gebet „Von stillen Mächten“? Auch zum Thema Trost hat er treffende und großartige Worte gefunden. Eines davon stelle ich gerne an das Ende meiner Predigten:

„Je schöner und voller die Erinnerung,
desto schwerer ist die Trennung.
Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in eine stille Freude.
Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel,
sondern wie ein kostbares Geschenk in sich“.

Ein „kostbares Geschenk“! Ist das nicht ein schönes Wort für ein gemeinsam verbrachtes Leben? Wenn wir von Abschied in Liebe und Dankbarkeit reden, was ist da treffender als zu sagen, daß das Leben mit dem oder der Verstorbenen ein „kostbares Geschenk“ war? Wer das so sagen kann, der kann als getröstet gelten.

Mit solchen fremden Federn schmücke ich mich gerne. Aber die Menschen müssen wissen, daß diese wunderschönen Federn nicht meine, sondern die von Dietrich Bonhoeffer sind.

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Gesundheitsreligion?

Gesundheitsreligion?

Gesundheitsreligion?

Jeder, der einmal ernsthaft krank war, wird den Wert der Gesundheit zu schätzen wissen. Und wer unter einer chronischen Krankheit leidet, erst recht. Eine gesunde Lebensweise verlängert das Leben und auch schon in der Bibel steht: „Ehe du krank wirst, sorge für die Gesundheit“ (Sir 18,19). Gesundheit ist ein hoher Wert im Leben, ja er ist entscheidend für die Lebensqualität. Entscheidender als Wohlstand. „Lieber ein gesunder Bettler als ein kranker König“ sagt ein Sprichwort.

Doch kann die Gesundheit auch – wie die Schönheit – zum Kult, zu einer Art Ersatzreligion werden. Der Theologe und Arzt Manfred Lütz schreibt dazu: „Wenn es keinen lieben Gott gibt und mit dem Tod alles aus ist, dann wird es hektisch im Leben. Mit allen Mitteln versucht man den Tod zu bekämpfen, denn der Tod ist der Todfeind der Gesundheitsreligion. Man versucht quasi das ewige Leben im Diesseits zu produzieren, was natürlich ein völlig aussichtsloses Projekt ist“.

Ausformungen dieser „Religion“ habe ich in den letzten Monaten der sogenannten „Corona-Pandemie“ selbst erleben können. Große Teile der Gesellschaft erstarrte in der Angst, krank zu werden, sich „anzustecken“. Ich habe Menschen erlebt, die zurückwichen, wenn man ihnen einen oder zwei Zentimeter näherkam. Alte und junge Menschen. Auf einer Beerdigung sah ich einen Mann, der weit hinten vermummt mit Maske und Handschuhen auf dem Friedhof im Freien stand. Ich fürchte, der Mann wird durch diese Panik sein Leben eher verkürzen als verlängern. Dann beherrscht die Angst vor Krankheit und Sterben das Leben. Ist das dann noch „Leben“ – oder eher nur „Überleben in Angst“?

Vielleicht bin ich durch meine Arbeit gelassener geworden, weil ich seit Jahren die Brüchigkeit und Endlichkeit des Irdischen erlebe. Ich habe schon zu viele scheinbar Gesunde begraben, als daß ich mir noch Illusionen machte. Darum habe ich in den letzten Wochen auf meinen Beerdigungen öfter aus Matthäus Kapitel 6 („Über die rechte Sorge“) zitiert, wo unter anderem der Satz steht: „Wer von euch kann mit all seiner Sorge sein Leben auch nur um eine kleine Spanne verlängern?“ (Mt 6,27).

Leider musste ich feststellen, daß auch meine Kirche den Kampf gegen die Gesundheitsreligion verloren oder zumindest aufgegeben hat. In der Bibel finden wir 126mal die Worte „fürchtet euch nicht“. Bei meinen (spärlich gewordenen) Besuche in den Gottesdiensten nach dem Lockdown habe ich jedoch fast nur „Heidenangst“ statt „Gottesfurcht“ erlebt.

„Hölle“ und „Fegefeuer“

„Hölle“ und „Fegefeuer“

„Hölle“ und „Fegefeuer“

Man muss zugeben, daß die Angst vor der Hölle oder dem Fegefeuer nach dem Tod in den modernen Gesellschaften so gut wie verschwunden ist. Auch Drohungen mit der Hölle verfehlen weitgehend ihre Wirkung; zumindest bei Erwachsenen. Das ist keinesfalls zu bedauern. Zumindest sind die Bilder von Höllenfeuer und gehörnten Teufeln Produkte reinen Aberglaubens.

Dennoch lohnt es, sich mit dem Thema zu befassen. Denn theologisch existiert die „Hölle“ nämlich durchaus. Im Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) findet sich folgende Definition:
„In Todsünde sterben, ohne diese bereut zu haben und ohne die barmherzige Liebe Gottes anzunehmen, bedeutet, durch eigenen freien Entschluss für immer von ihm getrennt zu bleiben. Diesen Zustand der endgültigen Selbstausschließung aus der Gemeinschaft mit Gott und den Seligen nennt man ‚Hölle‘.“ (KKK 1033).

Hölle ist damit die Konsequenz für die, die ihre Todsünden zu Lebzeiten nicht bereuen wollen und sich dadurch bewusst von Gott entfernen. Das hat auch was Tröstliches. Denn wir alle empfinden es als skandalös, wenn Menschen für ihre Missetaten nicht bestraft, sondern im irdischen Leben sogar „belohnt“ werden. Wenn sich kein irdischer Richter findet, der sie verurteilt.

So gesehen gehört die Hölle zum Christentum wie der Himmel. Im Gleichnis vom Weltgericht (oder Jüngsten Gericht) wird das sehr deutlich auf den Punkt gebracht: Wer Gott in seinem Nächsten dient, landet im Himmel, wer sich dem Dienst verweigert, in der Hölle (Mt 25,31-46). Das bedeutet nicht, nur Gutes zu tun in der Hoffnung auf Belohnung. Letztlich werden wir nicht gerecht durch unsere Werke, sondern durch Gottes Gnade. Aber das ist ein anderes Feld.

Dostojewski hat einmal einen Satz geschrieben, der das Problem der irdischen und göttlichen Gerechtigkeit auf den Punkt bringt: „Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt“. Genau nach dem Motto haben später die Mörderbanden des Totalitarismus gehandelt: Gott existiert nicht, wir sind selbst die Wahrheit, also ist uns alles erlaubt. Unvorstellbare Verbrechen mit Millionen Tote waren die Folge.

Nach christlicher Lehre gewährt Gott auch Gnade dem, der vor seinem irdischen Tod aufrichtig seine Untaten bereut. Und das Fegefeuer ist dann die allerletzte Chance. Es ist ein Läuterungsprozess nach dem irdischen Tod, den diejenigen durchlaufen müssen, die zwar das ewige Heil im Himmel erlangen, aber noch einer Läuterung bedürfen, um in die ewige Seligkeit eintreten zu dürfen. Die Menschen können für die „Armen Seelen“ im Fegefeuer beten. Es ist also durchaus nützlich und tröstlich.